Neuer Beruf: "Everquestler"
Verfasst: Sa 02 Mär, 2002 01:38
Krise? Welche Krise? Die virtuelle Welt von "Everquest" hat mehr Wirtschaftskraft als Bulgarien <br>Von Constantin Gillies <br>Norrath, du hast es besser: Während der Rest der Welt noch auf den Aufschwung wartet, ist er hier schon angekommen. Die Wirtschaft des Zwergstaates wächst seit drei Jahren explosionsartig. Beim Pro-Kopf-Einkommen belegt man mittlerweile Platz 77, direkt hinter Russland und noch vor Bulgarien. Und das, obwohl das Land nur wenige Quadratmeter groß ist. So viel Platz brauchen nämlich die 40 Internet-Server, auf denen der Zwergstaat existiert. Die Erklärung: Norrath ist eine rein virtuelle Welt.<br>Sie ist der Schauplatz des Online-Spiels "Everquest". Täglich besuchen 60.000 Surfer diese Fantasywelt irgendwo zwischen Mittelalter und Monsterjagd. Die Spieler schlüpfen in die Rolle von Elfen, Zwergen oder Barbaren - und schaffen ganz nebenher ein virtuelles Wirtschaftswunder.<br>"Norrath ist eine robuste, freie Marktwirtschaft mit wohlhabenden Einwohnern", diagnostiziert Edward Castronova, Professor an der California State University. Der Ökonom hat die Wirtschaft des Fantasiestaates wissenschaftlich unter die Lupe genommen. Ergebnis: Die "Everquest"-Fans schaffen jedes Jahr Werte in Höhe von fünf Mio. Dollar - sprichwörtlich aus dem digitalen Nichts.<br>So funktioniert Norraths Wirtschaft: Jeder Spieler erarbeitet sich im Laufe der Zeit gewisse Eigenschaften und Besitztümer, etwa Zauberkräfte oder eine Rüstung. Diese können in einer eigenen Norrath-Währung gehandelt werden. Zurzeit sind diese so genannten Platinstücke übrigens rund einen US-Cent wert - und damit mehr als Peseta oder Yen. Doch der "Everquest"-Hersteller Sony hat einen Fehler gemacht: Der Handel innerhalb des Spiels wurde stark reguliert. Und so ereilte die Platinstücke schnell das Schicksal jeder Weichwährung - sie wurden durch den Dollar ersetzt. Die Surfer verkauften ihr digitales Hab und Gut kurzerhand über Online-Auktionshäuser wie E-Bay. Eine Spielfigur "Level 55 Druide" etwa bringt hier über 300 Dollar.<br>Und auch in Deutschland hat die Fantasy-Schattenwirtschaft Konjunktur. Bei E-Bay Deutschland verkaufte sich beispielsweise zauberkräftige Kleidung - die natürlich nur im Spiel tragbar ist - für sage und schreibe mehr als 250 Euro. Möglich ist ebenso, sich mit "Everquest"-Währung einzudecken. Der Kurs für 10.000 Platinstücke liegt bei 100 Euro. Selbstredend kann das ersteigerte Gut nicht verschickt werden. Zugestellt wird virtuell - im Online-Spiel: "Übergabe an einen Druidenring nach Geldeingang", heißt es in einer Annonce.<br>Da könne man mal sehen, was staatliche Überregulierung so alles anrichtet, urteilt Castronova über Norraths Schattenwirtschaft. Doch trotz fundierter Analyse bleibt der Ökonom einige Antworten schuldig: Ist Norrath eigentlich Mitglied der Freihandelszone Nafta - schließlich stehen die Spielserver im kalifornischen San Diego? Wurden die "Everquest"-Macher vor dem Verfall der Platinwährung mit einem blauen Brief abgemahnt? Und vor allem: Wenn in Norrath so viel Geld zu verdienen ist - warum sitzen nicht längst alle Bulgaren vor dem PC? <p>written by<BR>Stoschek<BR>Keinplan (EQ)<BR>Marcel (RL)</p><i></i>